Ein Bericht über das Miteinander in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung
Arbeitserzieher sein und als Begleiter arbeiten
Ein Praxisbericht und ein Appell für die Arbeit in einer Behinderteneinrichtung
Eine Werkstatt als wirtschaftlicher Betrieb hat Aufträge zu erledigen und Kosten zu decken. Menschen mit Assistenz sind die Mitarbeiter der Werkstatt, die durch Arbeitserzieher angeleitet und gefördert werden.
Ich bin Arbeitserzieher
Ich bin seit einem Jahr als Arbeitserzieher in einer Behindertenwerkstatt tätig. Meine Grundausbildung liegt in der Pflege.
Ich bin ein Mensch, der andere Menschen immer als Menschen mit Potentialen ansieht. Also nicht als behindert oder eingeschränkt zum Beispiel durch anderweitige Abstammung, Religion oder Kulturen. Den Menschen in seiner Ganzheit zu akzeptieren ist nicht nur Einstellungssache, sondern auch schwer zu erarbeitende Kunst des miteinander Umgehens. (Haltung). Die Besonderheit von Menschen macht ihre Individualität im kognitiven Denken, in ihrem Handeln sowie ihre Prägung aus dem sozialen Umfeld, in dem sie aufgewachsen sind. Ganz wichtig sind ihre Empathie und Vulnerabilität.
Normalität ist Definitionssache
Jetzt bin ich ganz schön abgeschweift. Zurück zum eigentlichen Thema. Umgang mit Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf.
Ich kann zu diesem Thema viel schreiben, aber um zu einem möglichen Punkt zu kommen, sollte ich erstmal ein paar Alltage der Menschen beschreiben.
Nennen wir sie mal Josef und Maria (Pseudonyme)
Maria
Maria lebt auf dem Land. Ihre Familie besteht seit Generationen aus Agrarwirtschaftlern. Sie ist dort geboren und aufgewachsen, immer behütet von ihrer Familie. Mit sechs Jahren sollte sie in eine Grundschule kommen.
Der Lehrer bemerkte bei ihr, dass sie sich nicht gut konzentrieren konnte und schwer am Unterrichtsinhalt teilnehmen konnte. Sie umarmt auch jeden und ging für den Lehrer auch zu nahe an die Personen heran, auch wenn es Fremde sind. Der Lehrer spricht nie mit Maria, da er denkt, dass sie es sowieso zu nichts zustande bringen kann und fördert sie daher auch nicht.
Mit 21 wurde bei ihr eine Mosaik-Trisomie festgestellt, aber dazu später mehr.
Maria ging an einem der Schultage alleine nachhause, das ist nichts Ungewöhnliches für uns, aber für Maria an diesem einem Tag schon. Sie war gerade im Wäldchen angekommen, der vor ihrem Zuhause lag.
Maria hatte dort eine Lieblingsstelle, eine Lichtung, wo sie sich hinlegen konnte, um die Sonnenstrahlen zu genießen, die durch die Blätter drangen. Sie war gerade vor zwei Tagen sieben Jahre alt geworden. Sie schlief ein. In der Nacht wachte sie von den Rufen ihrer Eltern auf und verstand nicht, warum ihre Eltern so außer sich waren.
Das war der Zeitpunkt, an dem Ihre Eltern misstrauisch wurden und beim Lehrer nachfragten, ob an diesem Tag etwas Besonderes los gewesen war, dass sie nicht vom Bus nachhause gebracht worden ist. Der Lehrer von Maria erklärte, dass der Bus eine Panne gehabt habe und deshalb nicht fahren konnte und er wusste, dass Maria nur zwei Kilometer nach Hause zu laufen hat. Er traute das der Siebenjährigen auch zu.
Ab diesem Tag bemühte sich der Lehrer richtig um Maria. Er war Ihr Klassenlehrer bis einschließlich der vierten Klasse. Maria war eine sehr gute Schülerin mit Einser Noten. Sie studierte sogar und schloss ihren Bachelor in Volkswirtschaft ab.
Sie hatte einen Freund und war mit 21 bereits schwanger und überglücklich. Das Kind wurde mit Trisomie 21 diagnostiziert. Bei Maria, der Mutter, wurde eine Mosaik-Trisomie festgestellt, jetzt im Erwachsenenalter, das ist eine Art der Trisomie 21-Erkrankung. Diese tritt bei jedem Menschen anders auf. Sie vererbte sozusagen die Krankheit an ihren Sohn.
Sie wollte deshalb das Kind nicht und gab es in eine Babyklappe ab. Ihr Freund verließ sie danach und im Dorf wurde sie nur noch deswegen gemobbt und sogar geschlagen.
Sie kam mit 23 in eine Psychiatrische Einrichtung und wurde dort langsam wiederaufgebaut.
Da sie nicht mehr zu ihrer alten Stärke zurückfinden konnte (oder wollte) fing sie nach langem Hin und Her in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung an zu arbeiten, wo sie heute noch tätig ist.
Kommen wir zu Josef
Josef ist ein lebensfroher Mensch. Seine Mutter trank sehr viel während der Schwangerschaft. Er kam mit einem FASD (Fötales Alkohol Spektrum Dysorder) auf die Welt. Seine Beine sind sehr spastisch und auch seine linke Hand wird immer schlimmer (Stand: 23. Lebensjahr). Konzentrieren kann er sich nur bedingt, liebt aber dafür einen sehr pechschwarzen Humor.
Er wurde von Anfang an auf eine WfBM (Werkstatt für Menschen mit Behinderung) vorbereitet.
Josef und Maria verstehen sich blendend.
Morgens um 07:30 Uhr läutet die Glocke zum Arbeitsbeginn. Überall raschelt und hämmert es. Es gibt Gelächter, irgendwo in der Ferne spielt ein Radio die neusten Hits von Hansi Hinterseer. Josef und Maria sind heute damit beschäftigt, Schrauben in eine Schachtel zu verpacken.
Josef packt die Schrauben locker in die Schachtel, Maria ordnet die Schrauben in der Schachtel und wiegt diese ab, um auf Nummer sicher zu gehen, dass der Inhalt den gestellten Anforderungen entspricht. Um 10 Uhr läutet es wieder und beide machen sich gemeinsam auf dem Weg in den Speisesaal, fluchend darüber, wie dünn der Kaffee wieder sein wird und schmunzelnd über die täglichen Butterseelen.
Um 10:30 Uhr ist Pausenende, eingeläutet wieder durch den Gong. Sie gehen zurück an die Arbeit.
Um 12 Uhr läutet es zum Mittagessen. Sie beschweren sich darüber, wie seltsam der Linseneintopf aussieht und entscheiden sich dann doch lieber für die Spätzle. Eine ganz normale Situation in einer Kantine. Maria und Josef sind froh, eine Pause zu haben, in der sie sich nach Herzenslust eine Stunde darüber lästern, dass alle so seltsam gekleidet sind und gar nicht ihrem Stil entsprechen und das alles eh nur ein Witz ist.
Die Pausenglocke klingelt um 13 Uhr zum Ende der Pause. Maria und Josef gehen wieder an die Arbeit, mit der sie sicher noch ein zwei Tage beschäftigt sein werden. Um 14:30 Uhr gibt es eine fünfzehnminütige Kaffeepause. „Boah kann der Kaffee nicht noch mehr nach Wasser schmecken“. „Nur noch 45 Minuten und wir sind frei“.
Josef und Maria gehen zum Ende ihres Arbeitstages gutgelaunt ihrer Wege, um zu ihren Bussen zu gelangen, die sie genau vor die Haustüre bringen.
Das war ein Überblick über nur zwei meiner Mitarbeiter.
Ich finde die beiden klasse, weil sie ihren Tag so gestalten, wie sie das mögen und brauchen. Beide haben Lebenswege hinter sich, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Eine WfBM ist dazu da, um Menschen mit Hilfebedarf die Möglichkeit zu geben, in einem geschützten Rahmen mit Kollegen zusammen zu arbeiten und um sich weiterentwickeln zu können.
Jetzt mehr über meine Arbeit und was für Anforderungen an mich gestellt sind
Empathie, eine gute Vulnerabilität und Resilienz, Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen sowie die Stärke hilfsbereit zu sein.
Ich komme um ca. 7 Uhr zur Arbeit, richte alle Arbeitsmaterialien her, schalte zuvor das Licht und den Strom an. Ich überlege mir, wer heute was übernehmen kann und wann die Materialien fertig sein müssen. Das alles spreche ich mit meinem Chef und den Kollegen ab.
Wenn die Mitarbeiter eintreffen, werden sie ihren Fähigkeiten entsprechend zugeordnet und die Arbeit wird erklärt.
Während des Arbeitsvorgangs werden die Materialien auf Richtigkeit überprüft. Die Mitarbeiter werden immer wieder gefragt ob alles in Ordnung ist und ein wenig Humor darf auch nicht fehlen. Hier und da haben ein paar Personen etwas auf dem Herzen, dies bespreche ich dann mit Ihnen. Das alles wird dokumentiert, wer hat was gemacht, wie kann die Person das noch besser ausführen, etc. Also ein ganz normaler Arbeitsalltag.
Ich achte meistens darauf, wenn es möglich ist, dass die Mitarbeitenden zusammenarbeiten, die gut miteinander auskommen. Wie Maria und Josef.
Viel Flexibilität
Es ist äußert wichtig, viel Flexibilität an den Tag zu legen, da es sehr viele unterschiedliche Situationen gibt im Laufe des Tages, die nicht unbedingt vorhersehbar sind. Wir müssen uns immer danach richten, wie es
Mitmenschlichkeit spielt in meinem Tun eine große Rolle. Klar fordert das gleichförmige Arbeiten insgesamt weniger, gibt aber gleichzeitig keine Entwicklungsmöglichkeit.
Schließlich ist es wichtig, den Mitarbeitern zu vermitteln, was soziale Kompetenz und Selbstbewusstsein bedeutet, und was Menschen wirklich glücklich macht. Das ist eine sinnvolle Aufgabe und birgt Wachstumsmöglichkeiten. Und diese haben sie bei uns.
Stärken- und Ressourcenorientiert zu denken und die Ressourcen zu fördern, ist immens wichtig und meine Aufgabe. Es ist eine Offenbarung mit anzusehen, wie sich die Menschen weiterentwickeln und dies dann auch selbst bemerken und stolz darauf sind.
Es ist für mich schwierig, mich kurz zu halten in diesem Text, da es so viele großartige Menschen direkt in der WfBM gibt, in der ich arbeiten darf. Ich würde sie am liebsten alle darstellen.
Ein kleiner großer Appell an die WfBM´s
Entwickelt die Menschen weiter, die ihr an die Hand bekommen habt, nicht nur die WfBM an sich. Eine WfBM ist nicht nur dazu da, Gewinn abzuwerfen. Das darf diese eh nicht, da es sich um meist eine gemeinnützige Gemeinschaft handelt.
Nutzt eure Zeit und macht euch durchaus etwas mehr Arbeit, als ihr machen müsst, um den Auftrag zu erledigen. Dann ist es nicht nur das Geld, das ihr am Monatsende bekommt, die Arbeit wert, sondern der Gewinn liegt in der Zufriedenheit, hier eine Aufgabe zu haben. Es wäre schade, nur auf dem Hosenboden zu sitzen und zu warten, bis die Arbeit getan wurde. Unsere und meine Aufgabe sehe ich in der Entwicklung der Mitarbeiter und damit auch in meiner eigenen.
Ich selbst habe noch viel zu lernen und mich noch sehr weit zu entwickeln, um zufriedenstellend auf dem Niveau arbeiten zu können, das ich anstrebe.
Aber hey, ich bin jung.